Naturfotografin Ulla Lohmann erklimmt im “Abenteuer Europa” in 470 Tagen die 47 höchsten Berge aller europäischen Länder. Momentan ist sie in Irland. In ihrem Reisetagebuch erzählt sie uns von ihren Erlebnissen, gibt praktische Fototipps und spannende Einblicke in die Besonderheiten der Länderkulturen.
“An was denkt ihr bei Irland? An Butter? Schafe? Magie? Ich stellte mir das Land als das Land des Regens vor. Zurecht: Wir sitzen tagelang fest und warten auf besseres Wetter. Bei unseren Recherchen lesen wir, dass der Aufstieg auf den 1.039m hohen Carrantuohill über die berüchtigte „Devil’s Ladder“, die Teufelsleiter, vor allem bei Regen rutschig sein kann und Bergsteiger gelegentlich dort verunglücken – auch tödlich. Das möchten wir natürlich nicht riskieren und so bleibt uns Zeit für die Erkundung der Grafschaft Kerry.
Irland: Mythologie und Küstenpanorama
Wir entscheiden uns für eine Reise entlang des „Ring of Kerry“, einer Panoramaküstenstraße. Zum Glück haben wir nur ein kleines Mietauto und keinen LKW oder Bus, denn diese dürfen den 179 Kilometer langen Ring aufgrund der Enge der Straße nur gegen den Uhrzeigersinn befahren.
Wir kommen nur wenige Kilometer weit, als ich im Augenwinkel einen alten Mann am Straßenrand erblicke. Einer dieser flüchtigen Momente, die meine Neugier wecken. Bei meinen Reisen habe ich gelernt, auf mein Gefühl zu vertrauen. Wenn ich den Eindruck habe, da könnte eine interessante Geschichte dahinterstecken, gehe ich dem nach. Der weißhaarige Mann begrüßt mich mit einem verschmitzten Lächeln. Ob ich ein gewebtes Kreuz kaufen möchte? „St. Bridges Cross“ ist eine alte irische Tradition: Man befestigt das Kreuz aus Binsen über der Tür, um böse Geister fernzuhalten.
Natürlich kaufe ich Patrick einen Glücksbringer ab, eine willkommene Gelegenheit, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er erzählt mir von seiner Idee mit den Kreuzen, die er vor mehr als 20 Jahren hatte, und die ihn jetzt über Wasser halte. Er verkauft sie oberhalb seines Dorfes an einem Aussichtspunkt, an dem viele Reisebusse halten. Von der Landwirtschaft alleine könne er nicht mehr leben, dafür sei er zu alt. Nur eine Ziege hat er noch, sie ist immer bei ihm. Beim Flechten hilft mittlerweile sein Sohn, Patricks Finger sind zu steif. Doch die Augen, die leuchten, wenn er über sein Leben erzählt, lassen ihn viel jünger aussehen, als er wahrscheinlich ist. Mit knarzendem irischen Akzent berichtet er von seiner Oma, die keinen Raum betrat, in dem nicht ein Binsenkreuz hing. Durch seine Erzählungen reise ich in eine andere Welt, in der es Druiden, Mythen und böse Mächte gibt.
Foto-Tipp auf Reisen:
Wenn Euch eine Person, eine Lichtstimmung etc. ins Auge fällt, geht eurem Gefühl nach und nehmt euch Zeit. Solche Momente kommen nie wieder. Oft sind es die kleinen Dinge am Wegesrand, die eine Reise ausmachen, nicht die allgemein bekannten Sehenswürdigkeiten.
Die Suche nach dem magischen Foto
Ich mache es zu meiner Mission, die Magie Irlands in einem Foto festzuhalten. Unser zweiter Stop ist in Cahersiveen, wo es ein britisches Fort (Festung) gibt, das eigentlich in Indien stehen sollte – die Baupläne wurden verwechselt. Doch hier ist sie nicht, die irische Magie. Die Landschaft ist wunderschön, doch das Licht lässt zu wünschen übrig.
Vielleicht finde ich die Magie Irlands in der „Festung der Feen“? In Irland gibt es Märchenfestungen, Ringfestungen, Steinkreise und Feenbüsche – wegen denen wurde sogar einmal der Bau einer Autobahn verschoben, um die Geister nicht zu stören. Doch falls er hier sein sollte, dieser irische Zauber, ist er bisher nicht auf meinen Bildern zu finden. Vielleicht habe ich morgen mehr Glück.
Carrantuohill – der höchste Berg Irlands
Zumindest für die Bergbesteigung scheinen uns die Geister endlich wohlgesonnen. Als wir losziehen, ist es eiskalt, aber es regnet nur leicht. Trotzdem ist der Fluss, den wir überqueren müssten, so hoch und reißend, dass wir uns entscheiden, einen eigenen Weg über Stock und Stein suchen. So steigen wir eine steile Felsrinne mit einem kleinen Bächlein in der Mitte nach oben. Je höher wir kommen, um so größer wird der Bach, bis wir mitten im Wasserfall klettern. Der Regen nimmt zu und schnell sind wir bis auf die Knochen durchnässt.
Bergwandern bei Sturm und Regen
Zum Glück ist der Gipfel nicht mehr weit. Nur noch ein Stückchen den Grat entlang, höchstens eine halbe Stunde. Ich ziehe mich am letzten Felsen der Rinne nach oben und … falle gleich wieder herab! Ich wurde schlichtweg umgepustet! Dort oben herrscht solch ein starker Wind, dass sogar mein Mann Basti sich bei den Windböen festhalten muss. Wenn ein erwachsener Mann nicht stehen kann, spricht man von 180 Stundenkilometern. Ich habe so etwas noch nie erlebt! Die Regentropfen werden zu spitzen Nadeln. Ich habe kein Gefühl mehr in den Beinen. Meine rechte Hand blutet, scheinbar ist sie bei meinem Sturz aufgerissen. Meter für Meter, der Kampf zum Gipfel. Gefühlt eine Ewigkeit. Und wo ist die Aussicht?
Endlich am Ziel angekommen, finden wir Schutz in einem ringförmig aufgeschichteten Steinkreis. Hier lässt der Wind nach, plötzlich ist das ohrenbetäubende Rauschen des Windes weg. Die Stille wirkt fast magisch. Sollte sie doch hier oben im Steinkreis zu finden sein, die Magie? Auf den Nebelfotos ist sie aber nicht. Was tun? Wir warten. Meine Hände und Füße spüre ich schon lange nicht mehr und ich zittere. Wir müssen die Rückkehr antreten. Doch gerade in dem Moment geschieht noch das Wunder: Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und bringt die Berglandschaft zum Leuchten. Vielleicht haben die Feen doch mitgeholfen? Manche Dinge muss man nicht begreifen, man muss sie nur akzeptieren und darf staunen.”
Foto-Tipp:
Auch wenn das Wetter so furchtbar ist, dass man nicht einmal seinen Hund vor die Tür schicken möchte, geht raus und fotografiert! Ich gehe bewusst im Regen los, wenn ich weiß, dass es bald aufklaren wird. Dann möchte ich an meinem Fotopunkt stehen und die ersten Sonnenstrahlen fotografieren, die durch die tiefhängenden Wolken scheinen.
Wollt ihr wissen, was Ulla Lohmann im Abenteuer Europa noch erlebt hat? Dann lasst euch ihre anderen Blogs nicht entgehen und erfahrt alles über ihr Fotoequipment auf Reisen, die einzigen Sherpas Europas und ihre Fotografietipps bei schlechten Lichtverhältnissen.
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