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Filme aus der Wolke

Das Internet wird immer mehr auch zum Fernsehmedium, da ist sich Nikolai Longolius sicher. Mit seiner Agentur „schnee von morgen“ setzt der Berliner auf die hohe  Reichweite der Adobe Flash Platform.

Noch vor wenigen Jahren wäre das Geschäftsmodell von schnee von morgen undenkbar gewesen. Im Auftrag von Alexander Kluge entwickelte der frühere „Fernsehmann“ Nikolai Longolius (unter anderem Spiegel TV) ein 24-Stunden-WebTV-Format. Rund um die Uhr flimmern Interviews und Dokumentationen über die Online-Mattscheibe, gepaart mit synchronisierten Links zu Hintergrundinfos und finanziert durch klassische Werbeunterbrechung. „Ich bin der festen Überzeugung, dass auch das Internet das Zeug zum „Lean-Back-Medium“ hat. Es kommt nur auf die Qualität der Inhalte an“, meint Longolius. Und die Qualität stimmt. Das jedenfalls meint die Jury des Lead-Award, die den begehrten Preis im März 2010 an dctp.tv verlieh. Das technische System läuft so erfolgreich, dass Longolius derzeit nach weiteren Einsatzbereichen fahndet.

Vor allem die Kostenseite und den enormen Zeitbedarf beim Transkodieren der Videos, hat Longolius nachhaltig in den Griff bekommen. Eigenen Angaben zufolge spart Longolius bis zu 80 Prozent der Rechnerkosten dadurch, dass er sowohl das Transkodieren als auch die Auslieferung der Videostreams von einer Amazon-Cloud leisten lässt. „Wenn morgen ein neuer Codec angesagt ist, fahren wir mal schnell 1000 Rechner hoch und transkodieren unser bestehendes Material in wenigen Stunden neu“, so Longolius.

Flash in der Pole Position

Longolius steht mit seiner Firma an einer sehr spannenden Demarkationslinie im Netz. Adobe Flash hat sich vor allem als Video-System flächendeckend durchgesetzt und besitzt eine sehr hohe Durchdringung bei den Nutzerrechnern. Das ist für ein werbefinanziertes Angebotsmodell wie dctp.tv unverzichtbar. Gleichzeitig aber verweigern ausgerechnet die derzeit populären Unterhaltungs-Devices von Apple dem Flash Player die Dienste. Für das iPhone muss Longolius also eine eigene Variante der dctp.tv-Seiten entwickeln. Die Webentwicklerszene diskutiert derzeit massiv, ob die Zukunft für WebTV nicht eher bei HTML5 als bei Flash liegt.

Nikolai Longolius hat die Frage für seine Firma längst beantwortet. Aus seiner Sicht haben alle drei Modelle (Apple iTunes, HTML5 und Flash) ihre Berechtigung. Während Apple die geschlossene Umgebung von iTunes und die entsprechenden Einkommensströme verständlicherweise unter Kontrolle behalten wolle, stelle HTML5 das Modell „Basis-Demokratie“ dar. „Flash ist an der Pole Position, sowohl was die Verbreitung als auch was die Qualität der Entwicklungsumgebung angeht. Für uns als professionelle Anbieter mit hohem Qualitätsanspruch gibt es keine Alternative“, so der Berliner. „Aber natürlich ist HTML 5 ein wichtiger und richtiger Schritt, um das Thema Bewegtbild möglichst breit verfügbar zu machen. Ein solches System muss offen sein und am besten vom W3C zertifiziert.“

Stand heute setzt Longolius also vor allem auf Flash. „Ein modernes WebTV muss die Distributionswege heute schon diversifizieren. Boxee, iPhone, internetfähige Fernseher, Spielkonsolen erwarten zumeist eigene und angepasste Frontends – teilweise in eigenen Entwicklungsumgebungen und Programmiersprachen. Flash ist aber heute eindeutig der Standard, wenn es um die Darstellung auf Desktop PCs und Laptops geht und könnte sich mit der Version 10.1 auch zum Standard auf Smartphones entwickeln“, so der Berliner.

Dem neuen Apple iPad traut Longolius nicht zu, die Mediennutzung nachhaltig zu ändern. „Ich bin sicher, dass das iPad ein Erfolg wird und in seiner Bugwelle kommen auch andere Tablet-Lösungen wieder zurück. Dennoch glaube ich, die Zukunft von WebTV liegt eher auf den großen Flachbildschirmen in den Wohnzimmern. Viele waren enttäuscht, dass das iPad nicht die Lücke zwischen iPhone und PC schließt.“

Innovativer Video-Workflow

schnee von morgen setzt Flash im Frontend ein und entwickelte die ersten Versionen der dctp-Anwendung noch mit FlexBuilder. Heute kommt bei der Erstellung sämtlicher Frontends Adobe Flash Builder zum Einsatz. Die aufwendigste Arbeit ist das Transkodieren des Videomaterials, das von dctp fertig geliefert wird. Statt diese aufwändige Rechenarbeit mit eigenen Maschinen zu bewältigen (das Transkodieren einer Minute Video in HDTV benötigt derzeit ca. sieben Minuten), mietet sich Longolius Rechner von Amazon, genauer von Amazon Web Services. Da die Rechner nur selten, dann aber in geballter Kraft benötigt werden, spart sich schnee von morgen die Leerlaufzeit. Kommt ein neuer Video-Codec ins Spiel, wird der auf einem Rechner-Image bei Amazon hinterlegt und fortan steht er in allen gestarteten Instanzen zur Verfügung. 12 Cent kostet die Rechnerstunde.

Elastic Cloud, nennt Longolius das System, weil es schnell in der Lage ist sowohl qualitativ als auch quantitativ auf veränderte Anforderungen zu reagieren. Die Amazon-Rechner melden die fertig kodierten Dateien direkt beim Dateiverwaltungssystem IVMS an und machen den Redakteuren den Weg frei, die nötigen Zusatzdaten zusammen zu stellen.

Auch das Ausliefern der fertigen Filme erfolgt „elastisch“. dctp.tv nutzt zwei unterschiedliche Systeme. Die Flash Media Server sorgen für die Belieferung mit VideoOnDemand wenn die Nutzer Filme aus dem Archiv wählen. Auch hier kann dctp.tv nahezu beliebig viele Media Server zuschalten um Spitzenlasten abzufangen. Den aktuellen Livestream steuern Server von Wowza bei, die auch in der Amazon-Wolke liegen und bei Bedarf auch extreme Zugriffzahlen stabil handhaben können. Außerdem leisten die Wowza-Server auch das Apple-eigene HTTP-Streaming.

Wenn es nach Nikolai Longolius geht, wird sich werbefinanziertes Online-Fernsehen auf Dauer einen festen Platz im Medienmix erobern. „Nicht jeder Anbieter braucht ein geschlossenes System mit Digital Rights Management (DRM) und Geotargeting. Vielen ist es auch völlig egal, ob Kopien der Videos im Browsercache abgelegt werden, oder nicht. Aber es wird dauern. Bisher haben wir in Deutschland vielleicht 100 Anbieter mit Streamingkosten über 2000 € im Monat.“